„ICH HABE MICH GEFÜHLT WIE 2006!“
Gänsehautmomente gegen Frankreich: Sportmanagerin und RUND-Kolumnistin Samira Samii im Interview über das Länderspiel in Dortmund
Frau Samii, wann waren sie zum letzten Mal im Stadion bei einem Landerspiel?
Samira Samii: Ehrlich gesagt ist das schon eine Weile her. Später war ich als Expertin nach Qatar eingeladen für einige deutsche und iranische Sender, habe mich aber letztendlich wegen der politischen Situation gegen eine Reise entschieden. Also ist es mehr als ein oder sogar zwei Jahre her.
Sie sagten vor ein paar Tagen, dass Deutschland nur noch Mittelmaß ist und Frankreich der klare Favorit. Was sagen sie jetzt nach dem Spiel?
Samira Samii: Das stimmt! Das habe ich gesagt! Aber ich habe auch gesagt, dass ich eine sehr hohe Meinung von Rudi Völler habe. Ich kenne Rudi schon sehr lange und er ist über mittlerweile Jahrzehnte einer der Persönlichkeiten mit der vielleicht positivsten Ausstrahlung und absolut vergleichbar mit der deutschen „Lichtgestalt“ Franz Beckenbauer. Und ich habe gesagt, dass ein starker Schnitt nach der Niederlage gegen Japan absolut notwendig ist. Klar gibt es einige überaus interessante Kandidaten, welche den deutschen Fußball wieder auf Vordermann bringen können. Und vor allem habe ich gesagt, was passiert, wenn Rudi Völler gegen Frankreich gewinnt. Dann schreit ganz Deutschland nach Rudi Völler als Heilsbringer.
Jetzt hat Deutschland 2:1 gegen den Vizeweltmeister Frankeich gewonnen. Was sagen sie jetzt?
Samira Samii: Gigantisch! Ich habe es im positiven Sinne befürchtet. Die Deutsche Mannschaft ist unglaublich gestartet und hat nach den vielen schwachen Spielen und Niederlagen gezeigt, dass sie immer noch super Fußball spielen kann. Aber ich muss weiter ausholen. Ich war schon einige Stunden vor dem Anpfiff im Signal Iduna Park und habe da bereits gemerkt, dass eine ganz besondere Stimmung bei Rudi Völler, seinem Trainerteam, in der Mannschaft und später bei den Fans herrschte. Alle waren von Anfang an extrem fokussiert und gleichzeitig locker und positiv. Eine ganz andere Wahrnehmung wie noch zwei Tage zuvor. Dann kamen die Fans und es war wie auf Knopfdruck „Sommermärchen-Stimmung“. Ich habe mich gefühlt wie 2006! Vor dem Spiel habe ich noch nie eine so laute deutsche Nationalhymne gehört wie heute. Und das DFB Team hat grandios begonnen. Vielleicht waren die ersten 20 bis 30 Minuten nahezu perfekt! Wenn man dann in der vierten Minute den Ball über 20 Stationen in den eigenen Reihen hält, mit Hakentricks teilweise weiterleitet und schließlich einen starken Angriff mit einem sensationellen Tor von Thomas Müller abschließt, dann ist die Welt erstmal in Ordnung, und dein Selbstvertrauen bei 100 Prozent.
Es war zu spüren, dass etwas Besonderes passierte. Wie haben Sie das Spiel weiter erlebt?
Samira Samii: Ich muss fast schon lachen. Ich habe vor zwei Tagen gefragt, „was passiert, wenn Deutschland gewinnt und das Stadion, es gibt nur ein‘ Rudi Völler singt“. Und genau das ist eingetreten. Die Deutsche Mannschaft spielt auf Anhieb hervorragend, die Körpersprache und die Gesichter stimmen wieder und das Stadion hat den bekannten Song, „Es gibt nur einen Rudi Völler“ gesungen. Natürlich war noch nicht alles top und auch nicht über die vollen 90 Minuten. Aber einer grandiosen Anfangsphase folgte ein gutes Spiel mit aufopfernd kämpfenden deutschen Spielern. Mir haben Henrichs und Sané ganz besonders gut gefallen. Tah als defensive Variante auf Rechts war gut. Sané entwickelt sich bei der Bayern und der Nationalmannschaft zum Super-Sané und es ist zu wünschen, dass er die ganze Saison auf diesem Niveau spielt. Müller hat eiskalt zugeschlagen, in seiner unnachahmlichen Art den Ball etwas ungelenk angenommen und Weltklasse vollendet. Auch das zweite Tor von Sané war Weltklasse von Hawertz vorbereitet und von Sané vollendet. Leider kam es dann noch zum Anschlusstor durch ein unnötiges und blödes Foul. Aber das Spiel und die Stimmung waren europameisterschaftsreif.
Was würden sie jetzt dem DFB für die weitere Trainersuche raten?
Samira Samii: Wie ich vorher sagte, was passiert wenn Völler mit einem guten Spiel gewinnt. Jetzt haben wir dieses Dilemma. Völler hat in 48 Stunden mit Hannes Wolf und Sandro Wagner die Mannschaft umgekrempelt und einen klaren und erfolgreichen Matchplan vorgegeben. Nach dem Spiel war Rudi Völler wie immer, sehr sympatisch und überaus bodenständig. Vielleicht wäre es das Naheliegendste wenn er jetzt bis zur Heim-EM weitermachen würde. Er wäre ein Bundestrainer für alle. Aber auch Julian Nagelsmann oder Louis van Gaal wäre super Bundestrainer. Klar ist der Eine noch sehr jung und der andere kommt aus Holland. Aber beide wäre klasse für die weitere Entwicklung. Die Frage ist, ob Rudi Völler überhaupt möchte und was passiert, wenn es ein anderer wird und das erste Mal verliert. Dann ruft ganz Deutschland wieder nach Rudi Völler.
Quelle: Rund Das Fußballmagazin/15.09.2023
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