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INTERVIEW
„Das Verhalten der Spieler war extrem mutig“
Samira Samii ist nicht zur WM nach Katar geflogen, ein Zeichen für Menschenrechte und Diversität zu setzen. Im Interview sagt sie, warum die iranischen Nationalspieler für sie Helden sind. 

Frau Samii, als erfolgreiche Sportmanagerin sind sie bei vielen Weltmeisterschaftsspielen als Expertin und geben viele Interviews. Wie lässt sich das mit ihrem Job als Sportmanagerin vereinbaren?
Samira Samii: Eigentlich habe ich geplant zwei Mal für einige Tage nach Katar zu fliegen und für iranische, deutsche und einige andere internationale Medien als Expertin zur Verfügung zu stehen. Wie viele hochrangige andere Legenden, Stars und Experten habe auch ich mich entschlossen, ein Zeichen für Menschenrechte und Diversität zu setzen und nicht nach Katar zu fliegen. Natürlich werde ich trotzdem fast alle Termine online wahrnehmen können. 

 Sportmanagerin und Rund-Kolumnistin Dr. Samira Samii

Sind die iranischen Spieler die größten Helden des Turniers?
Samira Samii: Die iranischen Nationalspieler haben bereits im ersten Spiel gegen England alles gewonnen. Sie sind definitiv die größten Helden des Turniers, da sie die Nationalhymne nicht mitgesungen haben und somit das größte Zeichen der Solidarität mit ihrem Volk zu Hause und gegen das Regime in die Welt gesendet haben. Der iranische Staatssender hat daraufhin die Liveübertragung im ganzen Land unterbrochen. Das Verhalten der Spieler war extrem mutig und ist in keiner Weise mit der Diskussion um die „One-Love“-Kapitänsbinde zu vergleichen, da die Sanktionen existenziell sein können.

Nach der hohen Niederlage gegen England hat der Iran heute gegen Wales sein erstes Endspiel gespielt. Wie haben Sie die Ausgangslage gesehen?
Samira Samii: Die sportliche Ausgangslage war natürlich eine andere als gegen England. Heute musste die iranische Nationalmannschaft gegen Wales gewinnen um noch eine Chance auf die KO-Runde zu haben. Aber Wales ist eben auch nicht England und rangiert in der Weltrangliste im Bereich des Irans. Man trifft sich also auf Augenhöhe und auf dem Papier sind Chancen fast ausgeglichen.

Wie haben Sie das Spiel erlebt?
Samira Samii: Zu Beginn des Spiels hat es so ausgesehen, dass das Team bei der Nationalhymne mitgesungen hat. Ihre Protestaktion hat die iranische Mannschaft also vor dem zweiten Spiel nicht wiederholt. Offenbar war der Druck auf die Spieler von ganz oben zu groß gewesen. In den ersten 45 Minuten ist es sehr ausgeglichen hin und her gegangen und die leicht favorisierten Waliser haben große Schwierigkeiten mit einem hartnäckigen und aufopferungsvoll kämpfenden Gegner gehabt. Der Iran hat immer wieder durch schnelle Konter Nadelstiche setzen können. Auch das vermeintliche 1:0 für den Iran ist im Zuge einer schnellen Umschaltbewegung gefallen. Leider ist das Tor wegen einer Abseitsstellung zurückgenommen worden. Insgesamt ist das 0:0 zur Pause in Ordnung gegangen.

Und wie ist Ihre Meinung zur zweiten Halbzeit?
Samira Samii: In der zweiten Halbzeit ist der Iran das bessere Team gewesen. Schon zu Beginn der zweiten 45 Minuten hatte der Iran zwei riesige Chancen, doch leider ging der Ball zwei Mal nur an den Pfosten. Das Team Melli war in der zweiten Hälfte das bessere Team, aber trotzdem blieb es sehr lange beim 0:0. Kurz vor Ende der regulären Spielzeit ist es dann hektisch geworden und die Ereignisse haben sich überschlagen. Zunächst hat der walisische Torwart Wayne Hennessey eine gelbe Karte bekommen, nachdem er Mehdi Taremi bei einem Sprint auf das Tor aufgehalten hatte. Nach Überprüfung des Videobeweises revidierte der Schiedsrichter aber seine Entscheidung und gab dem Torwart die Rote Karte. Dann ist es in die Nachspielzeit gegangen und in der 98. Minute kommt Roozbeh Cheshmi nach einem Abwehrfehler der Waliser an den Ball und markiert mit einem starken Rechtsschuss das 1:0 für den Iran. Die Fans im Stadion weinten vor Freude und feierten ihre Helden. Die Waliser warfen alles nach vorne um den Ausgleich zu schaffen. Doch der Iran kontert und Ramin Rezaeian schoss in der 101. Minute das sehenswerte 2:0. Die Freude und Begeisterung ist riesengroß. 

Wie weit kommt der Iran bei dieser WM?
Samira Samii: Ich bleibe dabei, dass England trotz des Unentschiedens mit der USA Gruppenerster wird und das letzte Gruppenspiel gegen Wales gewinnen wird. Damit kommt es zum Endspiel um Platz zwei zwischen dem Iran und der USA. Dieses Spiel steht natürlich unter einem extremen Focus. Hier treffen nicht nur zwei Mannschaften aufeinander sondern auch zwei Ideologien, die unterschiedlicher nicht sein können. Der Sieger wird Zweiter und bei einem Unentschieden kommt der Iran vermutlich auch in die K.o.-Runde. Ich denke, dass die iranischen Spieler noch einmal bis über alle Limits hinaus kämpfen werden um in Katar Geschichte zu schreiben und für ihre Fans und ihr Volk in die KO-Runde einziehen werden. Und dann muss man sehen.

Quelle: Rund- Das Fußballmagazin/08.12.22
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