„Die Aussagen von Clemens Tönnies sind durch nichts zu entschuldigen!“
RUND-Kolumnistin Samira Samii spricht im Interview über die rassistischen Entgleisungen des Aufsichtsratschefs von Schalke 04. Samii ist die einzige weiblich Sportmanagerin und Spielerberaterin in Deutschland.
Frau Samii, wann haben Sie von Tönnies‘ Aussagen zum ersten Mal gehört und wie war ihre erste Reaktion?
Samira Samii: Das war am letzten Samstag, in Südfrankreich. Anfangs war ich überrascht und konnte es nicht glauben, da es irgendwie unrealistisch klang. Aber dann sah ich sein offizielles Statement auf der vereinseigenen Webseite des FC Schalke 04. Da wusste ich sofort: Er hat es so gesagt. Erst folgte die Enttäuschung und dann auch eine große Verärgerung darüber, dass ein Top-Fußballfunktionär und Großunternehmer sich zu einer derartig rassistischen Äußerung hinreißen ließ. Ich habe in der Vergangenheit auch mit einigen afrikanischen Spielern zusammengearbeitet und fühle für meine Spieler mit.
Herr Tönnies hat sich mittlerweile öffentlich entschuldigt. Halten Sie diese Entschuldigung für angemessen?
Samira Samii: Nein, und ich weiß nicht, ob so etwas überhaupt zu entschuldigen ist. Bei einer derartigen Entgleisung kann Herr Tönnies sich nicht so einfach entschuldigen und sich mit ein paar nett gemeinten Worten von jeder Schuld reinwaschen. Ich denke, ein Fehlverhalten von diesem Ausmaß sollte eine entsprechende disziplinarische Strafe zur Folge haben. Zum einen sollte der Verein und Herr Tönnies die Betroffenen um Entschuldigung bitten und zum anderen sollte man ihm zumindest einen Rücktritt nahelegen. Das wäre die Ideallösung für den Verein, der sich damit klar gegen Rassismus positioniert und seine moralischen Werte verteidigt. Hier geht es über den Aufsichtsratschef auch um das Image des Traditionsvereins Schalke 04.
Haben Sie ebenfalls von der Entgleisung von Patrick Owomoyela als BVB-Klub-Kommentator gehört, der Adolf Hitler parodierte?
Natürlich habe ich auch das mittlerweile mitbekommen, Das ist natürlich auch sehr schlimm, wenngleich es in allen Belangen eine andere Wertigkeit hat. Er ist kein Funktionär. Er ist im Club-TV. Ich kenne Patrick und er ist absolut kein Rassist. Aber auch eine derartige Parodie ist schwer zu entschuldigen. Auch hier sollte sich Patrick Owomoyela entschuldigen und der BVB sollte auch hier disziplinarisch durchgreifen und Owomoyela entlassen. Sie sehen, dass Tönnies kein Einzelfall ist und Deutschland in diesen Tagen einen leichten Rechtsruck erlebt. Manchmal geht es um Rassismus und manchmal um Diskriminierung.
Das klingt so als hätten Sie auch eigene Erfahrungen gemacht?
Gott sei Dank nur sehr wenig, aber vor einiger Zeit habe ich Rassismus am eigenen Leib erfahren. Ich war mit einer Geschäftspartnerin aus meinem Geburtsland Iran in einem Bundesligastadion und wir haben uns zwischenzeitlich auf Farsi unterhalten. Es dauerte keine zwei Minuten und ein Mann fragte uns, „Wo sind eure Kopftücher?“. So etwas rassistisches und diskriminierendes habe ich noch nie persönlich erlebt. Aber es gibt auch ein ganz aktuelles Beispiel. Ein großer deutscher Fernsehsender hat mit mir ein Interview aufgenommen, das während der Sendung gezeigt werden sollte. Bei der Aufzeichnung hat sich ein ehemaliger Bundesligafunktionär abfällig gegenüber Frauen im Fußball und insbesondere gegen mich persönlich geäußert. Daraufhin hat der Sender sich entschieden, mein einige Tage zuvor aufgezeichnetes Interview kurzfristig aus dem Programm zu nehmen. Ist es normal, dass ein deutscher Sender in einer Fußballrunde Frauen diskriminiert und bei diesem Thema nur auf Männer hört? Ich stehe jedenfalls darüber!
Haben Sie öfter solche Erfahrungen gemacht?
Am Anfang meiner Karriere schon. Vor zehn Jahren war es für viele Funktionäre und Fans nicht normal, dass eine Frau in der Fußballwelt arbeitet. Heute kommt es kaum noch vor, da ich mir in all den Jahren einen sehr guten Ruf erarbeiten konnte. Außerdem nehme ich derartige Äußerungen gegenüber meiner Person heute nicht mehr ernst und ich ignoriere solche Personen und gehe meinen Weg weiter. Aber es überrascht mich natürlich noch heute und ich kann es immer noch nicht fassen, dass so etwas in einem modernen, hochgebildeten und wohlhabenden Land, wie Deutschland überhaupt vorkommen kann. Hier muss etwas geschehen, damit es in Zukunft nicht mehr zu solchen rassistischen Äußerungen kommen kann, aber auch nicht mehr zu Diskriminierungen gegenüber Frauen oder Ausländern. Für mich ist Fußball ein wunderschönes Spiel, das in Teams auf der ganzen Welt gespielt wird. Es hat nichts mit Nationalität, Geschlecht, Religion und Hautfarbe zu tun.
Quelle: Rund- Das Fußballmagazin/07.08.19
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